Lukas Nussbaumer: Auseinandersetzungen mit Popmusik in der Neuen Musik im deutschsprachigen Raum, 1990–2020
Jahrzehntelang wurde Popmusik von den Protagonist*innen der Neuen Musik im deutschsprachigen Raum kaum thematisiert. Erst seit ca. 1990 finden sich vermehrt Pop-Einflüsse in den Kompositionen etablierter zeitgenössischer Komponist*innen, ab 2010 lässt sich dann eine Beschleunigung der Annäherung von Neuer Musik an Popmusik beobachten. Hauptverantwortlich dafür ist die Generation der ‚Digital Natives‘ (Geburtsjahr um 1980), welche Verfahrensweisen, Klanglichkeit und Performativitätsaspekte von Popmusik mit einer neuen Selbstverständlichkeit in ihre jeweiligen Arbeiten integriert. Die verstärkte Beschäftigung mit Popmusik seit 2010 koinzidiert mit einem seit ca. 2000 (wieder) grösser werdenden Interesse von Vertreter*innen der Neuen Musik an der Frage nach der heutigen Relevanz des Avantgarde-Begriffs und den künstlerischen Strategien (Traditionsbruch, Schock, Manifeste, Entautonomisierung der Kunst, Öffnung zur Populärkultur etc.), die damit verbunden werden.
Anhand ausgewählter Beispiele (darunter Werke von Olga Neuwirth, Bernhard Lang, Brigitta Muntendorf, Alexander Schubert und Holly Herndon) möchte ich untersuchen, auf welchen Wegen und Arten Elemente der Popmusik – von Material (Aufnahmen) über Formen und ästhetische Verfahrensweisen (bspw. Loops, Sequencing, Mixtape) bis hin zu Aufführungsformaten – im oben genannten Zeitraum Eingang in die Neue Musik finden bzw. mit welchen Strategien sie kompositorisch verarbeitet werden. Theoretisch-diskursiv wird dabei die Frage gestellt, inwiefern diesbezüglich von avantgardistischer Kunst/Musik die Rede sein kann.