Ein Erneuerer der Gitarre. Die Vortragskunst des Miguel Llobet (1878–1938). Dr. des. Cla Mathieu
Wie analysiert man die vielfältigen Dimensionen des praktischen Musizierens einer global agierenden Interpretenpersönlichkeit? Dies war eine der methodischen Grundfragen meiner im Frühjahr 2020 an der Universität Bern abgeschlossenen Dissertation zum Wirken des spanischen Gitarristen Miguel Llobet (1878-1938). Geboren in Barcelona, entwickelte sich Llobet zum führenden Gitarristen des frühen 20. Jahrhunderts, dessen Musizieren einerseits den Aufführungstraditionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts verpflichtet war, andererseits aber auch von den jüngeren kompositorischen und performativen Entwicklungen beeinflusst wurde. Freundschaften mit Musikern wie Manuel de Falla, Maurice Ravel oder Ricardo Viñes deuten dies an; seinerseits war Llobets Vorbild für jüngere Gitarristen, wie unter anderem Andrés Segovia.
Anhand von Llobets Tonaufnahmen von 1929 lassen sich charakteristische Zugangsweisen an die klangliche Realisierung eines Notentextes herausarbeiten und in einen weiteren Kontext stellen; die Zeitgestaltung, die sich weitgehend empirischen Methoden erschliesst oder etwa das Cantabile, welches Llobet als einen Musiker der ‘espressivo’-Tradition ausweist. Entscheidend für Llobets Erfolge auf den Bühnen Europas und in Übersee war jedoch eine überragende Virtuosität auf seinem Instrument, auf deren Inszenierung er seine Programme gezielt ausrichtete. In der Rezeption spiegeln sich die Denkfiguren des zeitgenössischen Virtuositätsdiskurses wider, wie etwa die oft mit nationalen Stereotypisierungen aufgeladene Opposition von ‘Werk’ und virtuoser Performance. Äusserer Rahmen dieser Inszenierung des virtuosen Körpers waren schliesslich die Konzerträume, in denen Llobet meist als erster Gitarrensolist überhaupt auftrat, und die sinnbildlich für die neue Identität stehen, welche das Instrument in seinen Händen annahm.